Artenlexikon

Wisent

Artenlexikon:

Wissenschaftlicher Name
Bison bonasus
Icon Unterarten
Familie
Hornträger
Aktueller Bestand
2518 (IUCN 2020)
Gefährdungsstatus
Potentiell gefährdet (IUCN, 2020)

Verbreitung

Asien
Europa
Weißrussland, Polen, Russland, Ukraine, Litauen, Slowakei, Rumänien, Deutschland
ARTENLEXIKON: Der Wisent – Europas letzter Riese         Die Fakten Bilder und MedienWeiterführende InfosNews

Der Wisent – Europas letzter Riese

Große Pflanzenfresser haben weltweit wichtige Funktionen in Ökosystemen: zur Verbreitung von Samen, Regulation von Pflanzenbeständen und als Beutetiere. In Europa gibt es nur noch einen – den Wisent. Doch Europas Bison fehlt zunehmend der Lebensraum. Er steht am Rande der Ausrottung.

Körperliche Merkmale

Seinen Verwandten – den amerikanischen Bison – kennt man nur zu gut aus Westernfilmen. Doch auch in Europa gibt es Bisons – tatsächlich sind sie hier die größten Landsäugetiere. In ihrer Statur sind sie schlanker und langbeiniger als ihre Vettern in Übersee. Charakteristisch ist der Buckel, der am Widerrist aus Muskeln und Knochenfortsätzen gebildet wird und dann abfällt. Der Kopf ist im Vergleich zur Körpergröße relativ klein – ebenso wie die nach innen gebogenen Hörner. Wisente werden 14 bis 24 Jahre alt.

Lebensweise und Fortpflanzung

Die größte frei lebende Population von europäischen Bisons lebt heute in dem letzten großflächigen Urwaldgebiet Europas, dem Urwald von Bialowieza – sowohl auf der polnischen als auch auf der weißrussischen Seite. Wisente sind Herdentiere, leben allerdings in sehr spezifisch zusammengestellten Gruppen: die sogenannten Muttergruppen bestehen aus acht bis 20 Tieren: Kühe, Jungtieren und Kälber. Am Rande dieser Verbände halten sich Bullengruppen aus bis zu sieben Tieren auf. Mitunter leben die Bullen auch einzeln. Die Bisons haben Grasungsreviere, die – abhängig von Nahrungsangebot, Alter und Geschlecht – zwischen 44 und 200 Quadratkilometer groß werden können. Die Reviere werden aber nicht verteidigt – gelegentlich treffen Herden aufeinander, oft wechseln dabei ein paar junge Bullen die Gruppe.

Im August ist Paarungszeit – dann schließen sich mehrere kleine Herden zu Großherden zusammen und die Bullen werben um paarungsbereite Kühe. “Bewerben“ sich mehrere Buhler um dieselbe Kuh, kommt es zum Kampf, der Sieger des „Duells“ darf sich fortpflanzen. Grundsätzlich sind junge Bullen ab dem zweiten oder dritten Lebensjahr geschlechtsreif, können sich im Kampf aber noch nicht durchsetzen – meist pflanzen sich Bullen zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr fort. Kühe sind ab dem dritten Lebensjahr paarungsbereit. Nach acht bis neun Monaten bringen die Kühe meist ein Kalb zur Welt, in Gefangenschaft mitunter auch zwei. Schon kurz nach der Geburt sind die Kälber auf den Beinen, nach rund drei Monaten beginnt die Entwöhnung und die Kälber grasen zunehmend.

Ernährung

Die großen Tiere sind reine Pflanzenfresser und verbringen dementsprechend viel Zeit mit der Nahrungsaufnahme – immerhin braucht ein ausgewachsener Wisent 30 bis 60 Kilogramm Futter pro Tag. In Bialowieza umfasst das Nahrungsspektrum 131 Pflanzenarten, darunter Baum- und Straucharten, Gräser und Seggen (Sauergrasgewächse, die weltweit in kalten und gemäßigten Gebieten verbreitet sind) sowie krautige Pflanzen wie Brennnesseln. In Kulturlandschaften, also menschlich geprägten Gebieten, stehen auch Feldfrüchte auf dem Speisezettel, Eicheln fressen sie vor allem in der kalten Jahreszeit.

Lebensraum
Wald
Laub- oder Mischwälder, offene Flächen wie Weiden, Waldwiesen, Kahlschlagflächen und junge Baumanpflanzungen
Ernährungsart
Pflanzenfresser
Tierstimme
Besonderheiten
Muttertiere und Kälber können einander an der Stimme identifizieren und finden sich so in größeren Herden wieder.
Global Tags
Arten
Artenschutz
Thematisch

Wisent und Mensch

Wisente waren ursprünglich in Europa stark verbreitet – bis ins frühe Mittelalter kamen sie in den Urwäldern von West-, Zentral- und Südosteuropa vor. Jagd, die Ausbreitung des Menschen und der Landwirtschaft haben dafür gesorgt, dass die Tiere heute so gut wie ausgestorben sind. Große Pflanzenfresser wie die Europäischen Bisons brauchen entsprechend weitläufige Weideflächen, die – vor allem in Westeuropa – immer schwerer zu finden sind. Durch Überpopulationen von Nahrungskonkurrenten wie Rehwild leiden die Tiere außerdem und Ressourcenknappheit. In Kulturlandschaften kommt es immer wieder zu Konflikten, wenn die Bisons auf landwirtschaftlichen Flächen Nahrung suchen. Wisente sind Fluchttiere, Angriffe auf Menschen kommen also sehr selten vor – zumeist, wenn die Tiere bereits an Menschen gewöhnt sind, etwa durch Haltung.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es in der Wildnis nur noch zwei Wisentpopulationen im polnischen Urwald von Bialowieza und im Westkaukasus. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges starben sie dort um 1920 herum ebenfalls aus. Doch zum Glück hatten einige Wisente in der Obhut zoologischer Gärten überlebt. Nach Jahren planmäßiger Züchtung wurden deren Nachfahren ab 1952 wieder erfolgreich in Bialowieza ausgewildert.

Durch die winzige verbleibende Zahl der Tiere wird auch der Genpool kleiner, es herrscht Inzucht. Damit verbunden sind eine höhere Anfälligkeit auf Krankheiten und Parasiten sowie eingeschränkte Fortpflanzungsfähigkeit und Wachstum. Kreuzungen mit eingeführten Amerikanischen Bisons oder Hausrindern haben zu Hybriden geführt, die nun die reinrassigen Wisente zu verdrängen drohen.
Obwohl die Art so stark gefährdet ist, ist der Schutzstatus oftmals nicht klar geregelt oder Schutzbestimmungen werden nicht durchgesetzt, Wilderei wird nicht ausreichend bekämpft. Ein sehr kontroverses Thema ist auch die Bestandsregulierung durch Jagd auf Wisente.

Der Wisent in der Kulturgeschichte

Wisente sind schon aufgrund ihrer Größe eindrucksvolle Tiere und stehen dementsprechend für Kraft. Ähnlich wie das Wildschwein, vor allem der Eber, unterstreicht das Erlegen eines Wisents in der Literatur oft die Jagdfähigkeiten des Helden.

Darstellungen von Wisenten finden sich bis in die Höhlenmalerei der Jungsteinzeit, wo sie neben Mammuten, Wildpferden und Löwen dargestellt werden. In der römischen Antike war der Wisent im Mittelmeerraum bereits ausgestorben, wurde aber für Hetzjagden eingeführt. Plinius der Ältere beschreibt den Wisent in seiner „Naturkunde“ als Rind mit Pferdemähne, das auf der Flucht eine Dungspur von bis zu einer halben Meile Länge, die den Verfolger verbrenne wie Feuer.

In der polnischen Literatur und Malerei spielt der Wisent eine größere Rolle als im Rest Europas. Im polnischen Nationalepos „Pan Tadeus“ wird der Wisent in mehreren Versen erwähnt, Skulpturen und Gemälde erinnern an Wisent-Jagden von polnischen und russischen Herrschern.

Projekte und Engagement des WWF

Große Pflanzenfresser sind wichtig für Ökosysteme – das weiß man aus anderen Regionen wie Savannen oder Tropenwäldern, wo das Aussterben dieser Arten zu „leeren Landschaften“ führt. Der Wisent ist der letzte Vertreter dieser großen Pflanzenfresser. Das Interesse der Forschung ist dementsprechend groß, doch die Forschungsobjekte sind rar.

Wir als WWF engagieren uns vor allem im Kaukasus für die Wiederansiedlung von Wisenten – dort sind die seit 1927 ausgestorben. Per Flugzeug werden die Bisons aus Wildgehegen in Belgien, Frankreich und Deutschland nach Aserbaidschan geflogen. Die ersten zehn Wisente sollen jetzt im Shahdag-Nationalpark im Norden des Landes ausgewildert werden. Doch das ist nur ein Teil eines großen Wiederansiedlung-Programms im gesamten Kaukasus. „Auf russischer Seite konnten wir bereits dazu beitragen, dass Wisente wieder heimisch sind. Im Tseyskiy-Schutzgebiet beispielsweise freuen wir uns jedes Jahr über Nachwuchs. Die letzte Winterzählung ergab einen Wisentbestand von 83 freilebenden Tieren.“, berichtet Aurel Heidelberg vom WWF Deutschland, der das Programm leitet. Er wünscht sich, dass eines Tages wieder große Herden von Wisenten durch Eurasiens Wälder ziehen. Denn die Wälder brauchen die gewaltigen Tiere.

Doch nicht nur die Auswilderung der Wisente ist ein aufwendiges und teures Projekt – auch danach müssen die Tiere geschützt und begleitet werden – sie müssen überwacht, vor Krankheiten und dem Verhungern bewahrt werden. Nur so kann das Überleben der Europäischen Bisons nachhaltig gesichert werden.

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