Neue Studie: Schwallbetrieb der Wasserkraft verstößt gegen Tierschutzgesetz

9. November 2021 | Flüsse, Österreich, Politische Arbeit, Presse-Aussendung

Schwall-Sunk-Belastung für massenhaftes Sterben von Jungfischen verantwortlich – Laut Rechtsgutachten Verstoß gegen Tötungsverbot – WWF und Fischereiverband fordern Ende des Tierleids
Äschen Fischzucht (c) Christoph Walder

Die Naturschutzorganisation WWF Österreich präsentierte im Rahmen einer Pressekonferenz am Dienstag gemeinsam mit ÖKOBÜRO und Fischereiverband Tirol eine neue Rechtsstudie zur Schwall-Sunk-Belastung durch Wasserkraftwerke. „Das schnelle drastische Steigen und Sinken des Wasserspiegels in den Flüssen verursacht den Tod von bis zu 200 Millionen Jungfischen und Fischlarven pro Jahr“, warnt Bettina Urbanek, Gewässerschutzexpertin beim WWF Österreich. Laut der Studie stellt der aktuelle Betrieb der Speicherkraftwerke mit der massenhaften Tötung von Fischen einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar. Deshalb fordert der WWF gemeinsam mit dem Fischereiverband Tirol ein Ende des Tierleids durch eine eigene Schonzeit für Jungfische. „Die Wasserkraft-Branche muss rasch handeln, die Betreiber setzen sich sonst der Gefahr aus, laufend und fahrlässig gegen das Tierschutzgesetz zu verstoßen“, fordert Urbanek.

Verstoß gegen Tötungsverbot

Das Tierschutzrecht schützt das Leben jedes Tieres – auch das von Fischen, Jungfischen und sogar Fischeiern, da diese eigenständig leben können. „Das fahrlässige Töten von Fischen in schwallbelasteten Flüssen ist daher ein Verstoß gegen das Tötungsverbot nach Paragraph 6 des Tierschutzgesetzes“, sagt Katarina Zalneva, Studienautorin und Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO. „Bereits erteilte wasser- oder naturschutzrechtliche Genehmigungen spielen für den Tatbestand keine Rolle, da die Fischtötungen in diesen Verfahren nicht behandelt werden und daher nicht von der Bewilligung miterfasst sind.“

Um die Tötungen auch nur ansatzweise rechtfertigen zu können, müsste laut Tierschutzgesetz ein „vernünftiger Grund“ vorliegen. Das trifft aber auf den aktuellen Betrieb von Schwallkraftwerken nicht zu, wie die Studie zeigt: Erstens ist dieser häufig auf maximalen Erlös und Gewinn ausgerichtet, was gemäß Rechtsprechung keinen „vernünftigen Grund“ darstellt. Zweitens gibt es auch zur Betriebsweise für die Netzstabilität Alternativen, die stärker genützt und ausgebaut werden müssen. „Die Zeiten, in denen Speicherkraftwerke ohne Rücksicht auf Verluste betrieben werden können, müssen endgültig vorbei sein“, fordert Bettina Urbanek vom WWF.

Schonzeit für Jungfische als Sofortmaßnahme

„Fische sind essentielle Lebewesen unserer Gewässer und gute Gradmesser für den Zustand von Fluss-Ökosystemen. Am Beispiel der stark schwallbelasteten Flüsse Inn und Ziller in Tirol sieht man den Einfluss der Wasserkraft und die damit verbundene drastische Abnahme der Fische über die Jahrzehnte. Wenn wir weiterhin zulassen, dass der Schwall ungezügelt unsere Flüsse heimsucht, dann haben wir in naher Zukunft keine Äschen, Koppen und andere Fischarten mehr“, warnt Zacharias Schähle, Leiter des Tiroler Fischereiverbandes. „Schon jetzt beträgt der Fischbestand im Inn über weite Abschnitte nur 20 Prozent des eigentlichen Sollzustandes. Im unteren Abschnitt des Zillers sind es gar nur zwei Prozent. Dafür gibt es zwar mehrere Ursachen, der Schwall-Sunk-Betrieb spielt aber eine entscheidende Rolle. Der geringe Fischbestand zeigt jedenfalls die fatalen Auswirkungen, die das Töten so unvorstellbar vieler Jungfische und Fischlarven hat.“ Als Sofortmaßnahme fordern der WWF und der Tiroler Fischereiverband deshalb auf allen Schwallstrecken Österreichs die Einführung eines „Jungfischfensters“ – einer neunwöchigen Schonzeit im Mai und Juni. Würde die Schwallbelastung in den sensibelsten ersten Wochen der Entwicklung gestoppt oder zumindest stark verringert, könnte die Tötung vieler Jungfische und Fischlarven vermieden werden.

Österreichweit sind 725 Kilometer an Flussstrecken so stark durch Schwall und Sunk belastet, dass sie laut EU-rechtlichen Vorgaben saniert werden müssen. Obwohl diese Vorgabe seit über 20 Jahren bekannt ist, ist Österreich bei den notwendigen Maßnahmen säumig. „Laut EU-Recht hat Österreich noch bis 2027 Zeit, die Schwallbelastung zu sanieren. Auf das Tierleid müssen die Kraftwerksbetreiber jedoch sofort reagieren. Sonst stellt der Schwallbetrieb einen fortlaufenden verwaltungsstrafrechtlichen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar“, mahnt Bettina Urbanek vom WWF.

Folgen der Schwall-Sunk-Belastung für Fische und andere Wasserlebewesen

Wasserkraftwerke im Schwall-Sunk-Betrieb starten bei hohem Strombedarf und hohen Preisen die Stromproduktion und lassen mehrmals täglich große Mengen Wasser aus den Stauseen bzw. Speichern ab. Das schnelle drastische Steigen und Sinken des Wasserspiegels in den Flüssen wirkt sich katastrophal auf die Wasserlebewesen aus. Besonders deutlich zeigt sich das anhand des tödlichen „Strandens“ bei Jungfischen, Fischlarven und adulten Tieren einiger gefährdeter Fischarten, wie zum Beispiel der Koppe: bei hohem Wasserstand weichen Jungfische in flache Uferbereiche aus, um der schnellen Strömung zu entgehen. Nach erneutem Absinken des Wassers bleiben sie in seichten Bereichen und Gumpen gefangen, in denen tausende von ihnen verenden.

Eine Podiumsdiskussion zum Thema Schwall findet am 17. November in der Universität für Bodenkultur in Wien im Rahmen einer Vorführung des mehrfach ausgezeichneten Films „Was Fische wollen“ von Christoph Walder statt. Mehr Informationen finden Sie unter diesem Link. Ein Kurzvideo finden Sie hier.

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Valentin Ladstätter
Pressesprecher, WWF Österreich

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