Ein Jahr vor EU-Deadline sind zentrale Fragen immer noch offen – Lücken und Defizite bei Finanzierung und Einbindung der Öffentlichkeit
Offener Brief

Wien, 7. November 2018 – WWF Österreich, Österreichischer Alpenverein und Naturfreunde Österreich: nur 7 Prozent der österreichischen Staatsfläche sind noch naturbelassen und unerschlossen – starke Stimme für die Natur wichtiger denn je
An die Landesrätinnen und Landesräte für Umwelt- und Naturschutz sowie Raumplanung der österreichischen Bundesländer
Sehr geehrte Damen und Herren!
Heute vor 27 Jahren, am 7. November 1991, haben die acht Alpenstaaten und die Europäische Gemeinschaft die Alpenkonvention – das Übereinkommen zum Schutz der Alpen – unterzeichnet. Dieser völkerrechtliche Vertrag ist ein Fundament für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und eine nachhaltige Entwicklung im Alpenraum. Seien es Erhalt von Natur und Landschaft, Verkehr, Energie, Tourismus, alpine Land- und Waldwirtschaft oder Bodenschutz – die Herausforderungen in den zentralen Themenbereichen der Alpenkonvention und ihrer Protokolle haben nichts von ihrer Aktualität verloren, im Gegenteil: Die Notwendigkeit einer tatsächlich nachhaltigen Entwicklung, die den kommenden Generationen dieselben Möglichkeiten und Chancen sicherstellt wie den vorangegangenen, ist heute noch größer als vor 27 Jahren. Für ein kleines Alpenland im Herzen Europas gehören die unglaubliche Vielfalt und Schönheit der alpinen Natur- und Kulturlandschaft und die damit verbundene hohe Lebensqualität zweifellos zu den wertvollsten und am meisten geschätzten Ressourcen unseres Landes. Im Sinne einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit dürfen deren Schutz und Erhalt nicht gegen kurzfristiges Wirtschaftswachstum abgewogen werden.
Dennoch leistet sich Österreich einen verantwortungslosen Umgang mit seinem Naturerbe. Unser Land steht für den höchsten Bodenverbrauch im Alpenraum und in der Europäischen Union. Täglich wird eine Fläche von 21 Fußballfeldern neu verbaut. Besonders dramatisch ist die zunehmende Verbauung der alpinen Räume und ihrer sensiblen Ökosysteme. Durch den ausufernden Flächenverbrauch gelten heute nur mehr rund sieben Prozent der österreichischen Staatsfläche als naturbelassen und unerschlossen. Gerade diese Seele der Alpen muss daher besonders geschützt werden, weil sie sowohl durch großtechnische Infrastruktur als auch durch die laufende Klimakrise immer mehr unter Druck steht.
Trotz des bereits hohen Erschließungsgrads wird der alpine Raum immer intensiver und verantwortungsloser beansprucht, wie das aktuellste Beispiel des geplanten Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms zeigt. Große Bauprojekte drängen in die letzten alpinen Freiräume, etwa das Kraftwerk Kaunertal oder die Gletscherehe Pitztal/ Ötztal, oder machen auch vor Schutzgebieten nicht mehr Halt, wie die Beispiele Kraftwerk Kühtai im Ruhegebiet Stubaier Alpen, der geplante Brückenschlag im Ruhegebiet Kalkkögel oder ein Schigebietsausbau durch das Naturschutzgebiet Kleinfragant in Kärnten. Heißere und trockenere Sommer, kürzere und schneeärmere Winter, häufigere und intensivere Wetterextreme, haben schon jetzt massive Auswirkungen, die sich in Zukunft gerade im Alpenraum weiter verstärken werden. Angesichts dieser klimatischen Veränderungen, sind wir mehr denn je gefordert, in Zukunft sparsamer und sorgsamer mit den endlichen natürlichen Ressourcen umzugehen.
Dies hat auch die im Vergleich zur Alpenkonvention junge Makrostrategie für den Alpenraum der Europäischen Union (EUSALP) erkannt. Unter dem derzeitigen Vorsitzbundesland Tirol und mit breiter Öffentlichkeitsbeteiligung wurde eine Deklaration für nachhaltige Landnutzung und Bodenschutz verfasst, die in wenigen Tagen unterzeichnet werden soll.
Natur und Umwelt brauchen wieder eine starke politische Stimme in Österreich!
Sie sind politisch dafür verantwortlich, der Natur und Umwelt in Österreich eine starke Stimme zu verleihen und eine echte Trendumkehr im Umgang mit natürlichen Ressourcen hin zu einer nachhaltigen Entwicklung einzuleiten.
Angesichts der unmittelbaren Bedrohung für die letzten alpinen Freiräume Österreichs fordern WWF Österreich, Österreichischer Alpenverein und Naturfreunde Österreich Sie als zuständige Regierungsmitglieder dazu auf, sich klar und deutlich zur nachhaltigen Landnutzung und Landesentwicklung und damit zur Erhaltung der letzten unversehrten Natur und Landschaft zu bekennen und dies in einer gemeinsamen Erklärung zu bekräftigen. Dazu braucht es so rasch wie möglich eine gemeinsame Konferenz der ReferentInnen aus Naturschutz und Raumplanung. Ein verbindlicher Aktionsplan für mehr Bodenschutz ist wichtiger denn je. Die unkontrollierte Verbauung der letzten Freiräume muss gestoppt werden.
Gerade im Hinblick auf die im November 2018 bevorstehende Verabschiedung der Deklaration für nachhaltige Landnutzung und Bodenschutz im Rahmen der EUSALP wäre diese starke Stimme für die Natur nötiger denn je. Denn die Seele der Alpen darf nicht nur am Geburtstag der Alpenkonvention im Mittelpunkt stehen, sondern muss jeden Tag und mit konkreten Maßnahmen geschützt und verteidigt werden. Dafür setzen wir uns gemeinsam ein und hoffen auch auf Ihre Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen
Hanna Simons, Leitung Natur- und Umweltschutz WWF Österreich
Robert Renzler, Generalsekretär Österreichischer Alpenverein
Günter Abraham, Bundesgeschäftsführer Naturfreunde Östereich
Weitere Informationen:
Gerhard Auer, Pressesprecher WWF, Tel. 01-48817-231 oder 0676-83488231, E-Mail: gerhard.auer@wwf.at, www.wwf.at/presse.
Rückfragen
News
Aktuelle Beiträge
WWF-Erfolg: Tiger kehren in indischen Nationalpark zurück
Seit 2020 unterstützt der WWF ein Umsiedlungsprojekt im Rajaji-Nationalpark in Nordindien. Nun streifen wieder Tiger durch das Schutzgebiet – und sogar Tigernachwuchs wurde gesichtet!
WWF-Erfolg: 15 Sambars in Thailand freigelassen
Im Salakpra Wildlife Sanctuary wurden 15 Sambarhirsche in die Freiheit entlassen. Die Rückkehr der gefährdeten Pflanzenfresser ist ein wichtiger Schritt, um das Ökosystem zu stärken.
WWF: Pottwale, Finnwale und Delfine im Mittelmeer zunehmend bedroht
Schiffsverkehr gefährdet seltene Meeressäuger im Mittelmeer – WWF fordert Tempolimits und Ausweichrouten, um Kollisionen zu verhindern und ist im Einsatz gegen Geisternetze
WWF kritisiert Ausverkauf von Tiroler Naturschätzen
Geplantes Gesetzespaket der Landesregierung weicht Naturschutz auf und begünstigt Konzerne – WWF fordert Aus für “Ablasshandel” und grundlegende Überarbeitung des Entwurfs
Entsiegeln statt versiegeln: WWF fordert Hitzeschutz-Programm
Anhaltende Verbauung und Versiegelung verschärfen Hitze – WWF fordert Entsiegelungs-Offensive, Begrünung in den Städten und Limit für den Bodenverbrauch
Hohe Lebensmittelpreise: WWF fordert Maßnahmen gegen Verschwendung
Reduktion der Verschwendung sollte in jedes Maßnahmenpaket gegen die hohe Teuerung integriert werden – Bundesregierung sollte Lebensmittelspenden erleichtern
UN-Plastik-Verhandlungen: WWF fordert Abkommen gegen tödliche Plastikflut
UN-Plastik-Verhandlungen starten – Plastikmüll als Gefahr für Mensch und Tier – WWF-Weckruf: Tödliche Plastikflut stoppen, bevor es zu spät ist.
WWF-Erfolg: Neuer Meilenstein für Kroatiens Auen
Der erste Kilometer des Bjelobrdska Altarms bei Osijek wurde erfolgreich ausgebaggert – der Auftakt für eine Flusslandschaft, die wieder lebendiger wird. Denn die Renaturierung im 5-Länder-Biosphärenpark Mur-Drau-Donau kommt sowohl dem Auwald als auch vielen Arten zugute.