Naturschutzorganisation fordert Politik zum Umdenken auf – Weitere Verbauung der Gletscher stoppen und als Zufluchtsorte für seltene Tiere und Pflanzen erhalten
WWF: Standortgesetz ist Angriff auf Umweltschutz und Rechtsstaatlichkeit

Wien, am 6. Dezember 2018. Der WWF Österreich bewertet das geplante „Standort-Entwicklungsgesetz“ als gezielten Angriff auf Umweltschutz und Rechtsstaatlichkeit und fordert daher die ersatzlose Rücknahme der Regierungsvorlage. „Anstatt die Umweltverträglichkeitsprüfung qualitativ zu verbessern, sollen umstrittene Großprojekte einseitig privilegiert werden, was Umweltverschmutzung und Naturzerstörung erleichtern würde. Zentrale Bestimmungen des Entwurfs sind sowohl verfassungsrechtlich höchst problematisch als auch unions- und völkerrechtlich sehr bedenklich“, sagt Hanna Simons, Leiterin Natur- und Umweltschutz, in der WWF-Stellungnahme zur heute endenden Ausschuss-Begutachtung. „Statt eines Freibrief für Betonierer und Husch-Pfusch-Vorhaben braucht es Reformen in den relevanten Materiengesetzen, dazu mehr Sachverständige und vor allem bessere Unterlagen seitens der Projektbetreiber“, zeigt Simons wirksame Alternativen auf.
Nachdem der verpfuschte erste Entwurf glatt durchgefallen ist, enthält der zweite Anlauf eine neue „lex specialis“ samt bürokratischer Parallelstruktur, um bestehende Umweltgesetze auszuhebeln. Unter dem Vorwand ‚Standortrelevanz‘ will die Wirtschaftsministerin das Umweltrecht schrittweise demontieren und die Einbindung von Bevölkerung und Zivilgesellschaft einschränken. „Der Rechtsschutz wird ausgehöhlt, die Stimme der Umwelt geschwächt. Daher sehen wir den fairen Ausgleich aller Interessen gefährdet“, sagt Simons und warnt vor potenziell hohen Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft. „Investitionen in die Umweltverträglichkeit werden in Zukunft wohl deutlich geringer ausfallen. Noch mehr unausgegorene und umweltschädliche Projekte, die bisher aus guten Gründen an den geltenden Kriterien gescheitert wären, werden um eine Genehmigung ansuchen.“
Der Entwurf enthält mehrere höchst bedenkliche bzw. potenziell rechtswidrige Bestimmungen. Der Rechtsschutz und das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter werden eingeschränkt, Großprojekte einseitig bevorzugt. Es ist auch nicht nachvollziehbar und zudem demokratiepolitisch bedenklich, dass ein Sondergesetz gerade bei hoch komplexen Großprojekten die Reaktionsfristen für Verfahrensbeteiligte deutlich verkürzt – all dies entgegen der für sonstige UVP-Verfahren geltenden Fristen. Dabei ist eine ausreichende Beteiligung der Öffentlichkeit sowohl unionsrechtlich als auch völkerrechtlich verpflichtend. EU-rechtlich dürfen Rechtsmittelbefugnisse in der UVP nicht ungünstiger ausgestaltet sein als die Möglichkeiten in anderen nationalen Verfahren. Eine Schwächung des Zugangs zu Gerichten ist auch aus völkerrechtlicher Sicht höchst bedenklich. Fazit: Abseits der grundlegenden Problematik ergeben sich durch die potenzielle Rechtswidrigkeit auch massive Rechtunsicherheiten für Projektwerbende, wenn Verfahren später aufgrund von Höchstgerichtsurteilen neu aufgerollt werden müssten.
Die im offiziellen UVP-Bericht enthaltenen Fakten zu Verfahrensdauern widersprechen der tendenziösen Begründung für das Sondergesetz. Tatsächlich werden die meisten Projekte relativ rasch bewilligt, sobald die Antragssteller die erforderlichen Unterlagen korrekt vorgelegt haben. Ursachen für Ausreißer sind sehr oft überlastete Behörden sowie unvollständige bzw. fehlerhafte Unterlagen, die später mühselig verbessert werden müssen. Auch diverse Planänderungen verschleppen immer wieder Verfahren. „Das Standort-Entwicklungsgesetz spricht jedoch keine der bekannten Problemursachen substanziell an und ist daher auch deshalb völlig untauglich“, analysiert WWF-Expertin Simons.
„Wer Planungs- und Genehmigungsabläufe beschleunigen will, muss dafür auch mehr öffentliche Akzeptanz schaffen. Allerdings ist ist die intranspartene Entstehung dieses Gesetzes gerade in dieser Hinsicht ein besonderes Negativbeispiel“, kritisiert Simons. Sowohl die Öffentlichkeit als auch Umweltschutzorganisationen wurden lange im Dunkeln gelassen, kritische Stellungnahmen blieben geheim oder wurden nur in einer weichgespülten Form veröffentlicht. Im Gegensatz dazu waren ausgewählte Konzernchefs früh über alle Details informiert, um mit oberflächlich jubelnden Regierungsmitgliedern und vorgefertigten Überschriften die Meinungsbildung zu drehen. „Ein demokratiepolitisch gefährlicher Kurs, der aber zu einer Politik passt, die lieber Husch-Pfusch-Gesetze inszeniert, anstatt seriös die Ursachen von Problemen zu beheben“, kritisiert Simons.
Abschließend hält der WWF Österreich kritisch fest, dass die Begutachtungsphase für ein derart einschneidendes und gegenüber dem ersten Entwurf komplett verändertes Gesetz viel zu kurz ausgefallen ist. „Damit wird die Mitsprache der Zivilgesellschaft massiv erschwert. Auch das ist demokratiepolitisch bedenklich“, bekräftigt Hanna Simons. Für solch umfassende Novellen ist daher die vom Bundeskanzleramt empfohlene Frist von zumindest sechs Wochen einzuhalten.
Rückfragehinweis:
WWF Österreich
Gerhard Auer
Pressesprecher
+43 676 83488 231
gerhard.auer@wwf.at
Rückfragen
News
Aktuelle Beiträge
Video: So arbeiten Naturschutzhunde gegen Wildtierkriminalität
Lea ist der erste WWF-Naturschutzhund. Im Video gibt es Einblicke, wie sie in der Praxis arbeitet.
Neuer WWF-Report: Tiefseebergbau würde Nachhaltigkeitsziele aushebeln
Internationale Meeresbodenbehörde berät über Rohstoffabbau in der Tiefsee – Neuer WWF-Report zeigt Risiken auf: UN-Nachhaltigkeitsziele und Weltnaturabkommen gefährdet
Nach Tiwag-Eingeständnis: WWF fordert Mattle zu Kaunertal-Stopp auf
Tiwag bestätigt, dass Bildung von Gletscherseen bisher “kein Thema” war – Risiko für Flutwelle wird ignoriert – WWF: “Mattle muss die Reißleine ziehen”
Schutzstatus Wolf: WWF kritisiert geplante Abschwächung als “kontraproduktiv und gefährlich”
Nach Berner Konvention auch Absenkung des Wolf-Schutzstatus in EU-FFH-Richtlinie angekündigt – WWF befürchtet dramatische Folgen für weitere gefährdete Arten und Lebensräume in EU
WWF-Erfolg: Künstliche Intelligenz spürt Geisternetze auf
Dank künstlicher Intelligenz und einer neuen Plattform können herrenlose Fischernetze jetzt schneller aufgespürt und geborgen werden. Ein wichtiger Erfolg für den Schutz unserer Meere und seiner Bewohner!
WWF-Erfolg: Bienen als natürliche Elefantenwächter in Afrika
Konflikte zwischen Menschen und Elefanten sind in einigen Regionen Afrikas eine Herausforderung – doch eine innovative Lösung in Simbabwe und Tansania zeigt Erfolg. Die ungewöhnlichen Helfer sind zwar winzig, aber sehr effektiv: Bienen.
Frühlingsbote: Erster Weißstorch des Jahres in Marchegg gelandet
Störche kehren aus Winterquartier zurück – 2024 war ein sehr gutes Jahr für den Bestand – WWF-Auenreservat bietet ausgezeichnete Lebensbedingungen
Weltnaturkonferenz: WWF sieht Schritte in die richtige Richtung
Staatengemeinschaft beschloss Regelung zur Finanzierung des Weltnaturabkommens – WWF spricht von “notwendigen Maßnahmen zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen”