Regierungsprogramm im Bodenschutz-Check: vereinzelt neue Ansätze, drohende Rückschritte – Bodenverbrauch weiter viel zu hoch – WWF fordert mehr Verbindlichkeit und echte Reformen
Vorarlbergs Flüsse brauchen mehr Platz – Jeder Hektar zählt!

Presseaussendung
Wien, am 21. August 2017 – Die Schäden durch Flusshochwässer in Österreich werden aufgrund des Klimawandels um sagenhafte 464 bis 1.317 Prozent steigen, warnt das Joint Research Centre der EU-Kommission (Studie von 2017). Besonders gefährdet sind Flusstäler unseres Landes, weil hierzulande seit 1950 jeden Tag zwei Hektar wertvoller Wiesen, Äcker und Auwälder verbaut wurden, in Summe eine Fläche von 435 Quadratkilometern, größer als die Stadt Wien. Dabei sind die verlorenen Flächen nicht nur ökologisch wertvoll, sie können als unverbaute Rückhalteräume auch die Hochwassergefahr senken. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie im Auftrag des WWF, in der die Entwicklung in Österreichs großen Flussräumen erstmals umfassend analysiert wurde. Geht diese Entwicklung ungebremst weiter, droht der Flussinfarkt und eine weiter steigende Hochwassergefahr.
Besonders betroffen sind die Flüsse Vorarlbergs, wo seit 1870 über 30 Quadratkilometer ökologisch wertvoller Flächen, die auch der Hochwassersicherheit dienen könnten, verschwunden sind.
Angesichts der vorliegenden Daten fordert der WWF eine energische Trendwende ein: Der Flächenverbrauch in den Flussräumen muss in Zukunft drastisch auf ein Viertel reduziert werden.
Dramatische Folgen für Mensch und Natur
„Durch den enormen Flächenverbrauch ist die Hochwassergefahr dramatisch gestiegen, denn viele natürliche Überschwemmungsflächen, etwa an Ill oder Rhein, sind unter Beton und Asphalt verschwunden. Diese Flächen fehlen heute, um der steigenden Hochwassergefahr zu begegnen“, skizziert Gerhard Egger vom WWF diese Entwicklung. „Auch viele ehemals häufige Arten unserer Flusslandschaften haben ihre Lebensräume verloren und sind heute selten und gefährdet“, verweist Egger auf Tiere wie Huchen, Flussuferläufer und Amphibienarten wie den Kammmolch.
Trendwende: Die WWF-Flüssevision
Geht die Entwicklung ungebremst weiter, steuert Österreich auf einen Flussinfarkt zu. Bis 2070 würden weitere 211 km2 (+29%) an Siedlungsflächen in den Flussräumen dazu kommen. Der WWF stellt in seiner Studie deshalb ein nachhaltiges Entwicklungsszenario für Österreichs Flüsse vor, die WWF-Flüssevision. „In unserer Flüssevision werden die Ansprüche von Schutzwasserwirtschaft, Ökologie und Erholungsnutzung integriert betrachtet“, erklärt Gerhard Egger. „Wir zeigen, dass durch die Reduktion des Flächenverbrauchs auf ein Viertel insgesamt 143 Quadratkilometer an potentiellen Überschwemmungsflächen bewahrt werden und den Flüssen rund 56 Quadratkilometer an zusätzlichem Abflussraum zurückgegeben werden können. Dadurch gewinnt Österreich pro Jahr 100 Hektar an intakten Flussräumen als Lebensraum für gefährdete Arten, als Rückhalteraum zur Hochwasser- und Dürre-Vorsorge und als attraktiven Erholungsraum.“
Dringlichkeit Klimawandel
„Eine aktuelle Studie des Joint Research Centre der Europäischen Kommission geht davon aus, dass die Schäden durch Hochwässer in Österreich durch eine Klimaerwärmung um 2°C um über 450 Prozent, bei Erwärmung um 4°C um über 1.300 Prozent steigen werden“, erklärt Egger und folgert: „Es muss dringend mit der Vorsorge gegen zukünftige Katastrophen begonnen werden. Dafür brauchen wir Instrumente der überörtlichen Raumordnung, um den Flächenverbrauch in den Flussräumen zu kontrollieren, sowie ambitionierte Gewässerschutz- und Revitalisierungsprogramme.“ Einen essentiellen Beitrag muss auch die Landwirtschaft erbringen, die Flächen in den Überschwemmungsgebieten umweltgerecht und angepasst bewirtschaften kann.
Fokus Vorarlberg
Es zeigt sich, dass der Verlust an Flussräumen in Vorarlberg besonders hoch ausgefallen ist. Seit 1870 wurden 31 Quadratkilometer (24 Prozent des gesamten Flussraums) verbaut. Flusshabitate sind um 34 Prozent zurückgegangen, Moore, Brachen und Feuchtwiesen sogar um 78 Prozent. Der Anteil an produktiven landwirtschaftlichen Flächen in den Flussräumen zeigt im Vergleich zu 1870 keine große Veränderung. Werden keine Gegenmaßnahmen ergriffen, droht die bebaute Fläche in überschwemmungsgefährdeten Flussräumen um weitere 10 Quadratkilometer zu wachsen – das entspricht einem Drittel der Fläche der Stadt Bregenz.
Die WWF-Flüssevision dagegen sieht für Vorarlberg eine weitere Bebauung von maximal 5 Quadratkilometern vor. Zudem besteht an den großen Flüssen der Bedarf für 1,8 Quadratkilometer an Flussaufweitungen.
In Vorarlberg wurden Referenzstrecken an den Flüssen Rhein, Ill und Bregenzer Ache untersucht.
Die Studie
Für die Studie wurde die Flächennutzung in den Abflussräumen der 49 größten Flüsse Österreichs von 1870 bis 2010 anhand historischer Karten und Luftbilder untersucht (3.300 Quadratkilometer).
Die Ergebnisse offenbaren die tiefgreifende Veränderung der Flusslandschaften: So ist die Fläche von Gewässern und Uferzonen um 146 Quadratkilometer (31 Prozent) zurückgegangen. Besonders dramatisch sind die Rückgänge von Wiesen, Mooren und Brachen (Verlust von rund 600 Quadratkilometern oder 82 Prozent). Offenlandflächen sind um 25 Prozent geschrumpft. Seit dem Jahr 1980 sinkt auch die intensiv genutzte landwirtschaftliche Fläche deutlich (minus 145 Quadratkilometer).
Enorm gestiegen ist im selben Zeitraum der Anteil von bebautem Gebiet: Siedlungen, Infrastrukturflächen und versiegelte Flächen haben in den letzten 150 Jahren um 500 Prozent (in Zahlen: 721 Quadratkilometer) zugenommen.
Quelle: WWF Flüssevision für Österreich. REVITAL Integrative Naturraumplanung GmbH im Auftrag des WWF Österreich. 2017.
Hintergrundinformationen und Download der Studie: www.fluessevision.at, www.wwf.at/fluesse
Studie zu klimabedingter Veränderung von Hochwasserschäden:
Global projections of river flood risk in a warmer world. Alfieri et. al., 2017. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2016EF000485/full
Rückfragehinweis:
Martin Hof, WWF Pressesprecher, 0676/83488 306, martin.hof@wwf.at
Gerhard Egger, WWF Programmleiter Alpenflüsse, 0676 / 83 488 272,gerhard.egger@wwf.at
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