Wichtiges Signal gegen Länder-Blockade – Naturschutzorganisation fordert Schulterschluss für wegweisendes Gesetz – Finanzierung der Maßnahmen möglich, zusätzliche EU-Mittel abrufbar
NGOs schlagen Alarm: Das „Netz des Lebens“ in Europa ist in Gefahr! Europaweite Kampagne gegen Aufweichung des EU-Naturschutzrechts startet heute
- EU-Naturschutzrichtlinien sind wichtiges Instrument für den Erhalt der Biodiversität
- „Fitness-Check“ der EU-Kommission darf erfolgreichen Naturschutz nicht schwächen
- Schulterschluss der Naturschutzorganisationen gegen Abänderung der Richtlinien
- Europaweites Schutzgebiete-Netzwerk Natura 2000 muss gestärkt werden
Wien, 12.05.15 – Zwei weltweit wegweisende Regelungen für den Natur- und Artenschutz in der Europäischen Union stehen bis zum 24. Juli auf dem Prüfstand der europäischen Öffentlichkeit: 1979 bzw. 1992 erlassen, um die biologische Vielfalt Europas zu bewahren, sollen die beiden wichtigsten EU-Rechtsgrundlagen für den Natur- und Artenschutz, die Vogelschutz- und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, einen „Fitness-Check“ durchlaufen – mit möglicherweise fatalen Folgen für bedrohte Arten und Lebensräume von EU-Bedeutung, auch in Österreich. „Wir befürchten, dass die Erfolge des Naturschutzes rückgängig gemacht werden und künftig Eingriffe in Schutzgebiete wieder leichter möglich sind“, warnen die VertreterInnen von WWF, Umweltdachverband, Österreichischer Alpenverein, BirdLife und Naturschutzbund Österreich heute in Wien. Die Organisationen rufen alle ÖsterreicherInnen dazu auf, sich in den kommenden Wochen online an der EU-Konsultation zu beteiligen und sich gegen die Aufweichung des Naturschutzrechts in den EU-Ländern zu engagieren. Auf www.wwf.at/natura2000 und www.umweltdachverband.at bieten der WWF und der Umweltdachverband dazu Hilfe an.
Bemühungen um den Erhalt der biologischen Vielfalt müssen verstärkt werden
Fest steht, dass sich der Zustand der Lebensräume und Arten in den letzten Jahren in vielen Gebieten verschlechtert statt verbessert hat – im Durchschnitt sind 60 Prozent der Arten und 77 Prozent der Habitate von gesamteuropäischer Bedeutung immer noch bedroht. „Wir befürchten, dass durch eine Aufweichung der EU-Naturschutzrichtlinien Arten wie Biber, Wolf und Kaiseradler, die beinahe ausgestorben waren und sich endlich erholt haben, ihren strengen Schutzstatus verlieren, als Folge sogar wieder abgeschossen werden dürfen und zudem wertvolle Lebensräume wirtschaftlichen Interessen weichen müssen. Aus Sicht des WWF müssen deshalb nun die Bemühungen um den Naturschutz und das Engagement in Sachen Natura 2000 verstärkt werden. Die Überprüfung der Naturschutzrichtlinien darf nicht als Vorwand dafür dienen, die Gesetze, die alle 28 EU-Staaten zum Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten sowie ihrer Lebensräume verpflichten, aufzuweichen, um etwa weiter neue Wasserkraftwerke zu bauen oder Schipisten in Schutzgebieten noch einfacher zu erschließen“, erklärt Beate Striebel, stellvertretende Geschäftsführerin des WWF Österreich.
Natura 2000-Netzwerk muss so rasch wie möglich umgesetzt werden
„Für den Umweltdachverband sind die beiden Naturschutzrichtlinien der EU eine bedeutende Errungenschaft im Einsatz für hohe europäische Naturschutzstandards. Trotz teils schleppender Umsetzung von Natura 2000 in Österreich zeigen die europäischen Naturschutzrichtlinien Erfolge und Wirkung“, erklärt Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes. Allgemein gesehen schneidet Österreich insbesondere bei der Umsetzung der Naturschutzrichtlinien aber schlecht ab, was u. a. auch die zahlreichen (teilweise noch) anhängigen Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich beweisen. Als kontraproduktiv bezüglich einer effektiven Umsetzung haben sich die uneinheitliche Vorgehensweise und mangelnde Abstimmung der Bundesländer ausgewirkt. Die schnellstmögliche Umsetzung des gesamten Natura 2000-Netzwerkes in Österreich muss deshalb jetzt oberste Priorität haben. Nicht zuletzt auch, um die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2020 und der neuen österreichischen Biodiversitätsstrategie 2020+ zu erreichen. „Mit etwas gutem Willen kann die österreichische Natura 2000-Gebietskulisse innerhalb eines Jahres stehen. Und dann gilt es, mit Programmen und Projekten gemeinsam mit der Land- und Forstwirtschaft mit Hochdruck an der Erhaltung und Verbesserung der Schutzgüter zu arbeiten. Dies ist viel wichtiger als eine mehr als fragwürdige Überarbeitung des EU-Naturschutzrechts“, so Maier.
Natura 2000 sorgt für wirtschaftlich und sozial positive Effekte in den Regionen
Der Österreichische Alpenverein, als Naturschutzorganisation, aber auch als größter Grundeigentümer im Tiroler Anteil des Nationalparks Hohe Tauern betont seit langem, dass Natura 2000 sowohl wirtschaftlich als auch sozial positive Effekte in den Regionen haben kann und für die Erhaltung des Schutzguts trotz allfälliger Nutzung sorgt. „So hat etwa eine Studie gezeigt, dass durch das Natura 2000-Gebiet Karwendel eine regionale Wertschöpfung von 3,3 Millionen Euro und Beschäftigungseffekte von 86 Personenjahren entstanden ist“, betont Liliana Dagostin, Leiterin der Abteilung Raumplanung-Naturschutz des Österreichischen Alpenvereins. Fakt ist, dass die EU-Richtlinien entscheidend dazu beitragen, die landschaftliche Schönheit und Vielfalt besonders auch der alpinen Lebensräume zu bewahren. Denn das EU-Naturschutzrecht sichert eine schonende Landschaftsentwicklung von Berggebieten, Brachen, Wiesen und Wäldern mit geordneter und naturverträglicher Nutzung statt Landschaftszerstörung.
Natura 2000 bietet europaweiten Schutz: Tiere und Pflanzen kennen keine Staatsgrenzen
Obwohl es bei der Umsetzung der Vogelschutz-Richtlinie in Österreich teils noch eklatante Mängel gibt, hat sich diese bereits jetzt sehr positiv ausgewirkt: Die Populationen der Brutvögel, die durch den Anhang I der Richtlinie geschützt sind, haben sich deutlich besser entwickelt als die der nicht geschützten Vögel. Dazu zählen z. B. der Seeadler oder auch der Kaiseradler, für deren Schutz besondere Maßnahmen ergriffen wurden. „Gäbe es kein EU-Naturschutzrecht, wäre der Triel, der nur mehr an zwei Brutstätten in Österreich zu finden ist, schon ausgestorben. Auch international gefährdete Arten wie der Wanderfalke, die Weißkopfruderente oder der Krauskopfpelikan konnten vor dem Aussterben bewahrt werden. Die rasche Komplettierung des europäischen Schutzgebietsnetzwerks ist essenziell, denn: Zugvögel und andere Tiere sowie Pflanzen kennen keine Staatsgrenzen – je dichter die Vernetzung, desto besser der Schutz unserer wertvollen Fauna und Flora“, stellt Christof Kuhn von BirdLife Österreich fest.
LIFE-Projekte sind Erfolgsgeschichten im Naturschutz
„Förderinstrumente der EU, die zur Umsetzung der Naturschutz-Richtlinien dienen, haben bereits etliche Projekte, besonders in Natura 2000-Gebieten, ermöglicht. Alleine durch LIFE-Mittel sind seit 1996 159 Mio. Euro in den Naturschutz geflossen. Rund 70 Mio. Euro (44 %) der Mittel wurden von der EU kofinanziert, rund 89 Mio. Euro (56 %) stammen aus nationalen Mitteln. Die Mehrheit der über LIFE geförderten Projekte wurde für die Erhaltung natürlicher Lebensräume an Fließgewässern und Wäldern aufgewendet. Etwa ein Fünftel der Projekte war dem Schutz von Mooren gewidmet. Etliche Einzelprojekte zum Schutz besonderer Tierarten wie Bartgeier, Fischotter oder Huchen sind Erfolgsgeschichten für den Naturschutz. Die gute Kooperation von Naturschutz, Land- und Forstwirtschaft, Wasserbau, Wildbach- und Lawinenverbauung, Fischerei oder Tourismus trug wesentlich zum Gelingen dieser Projekte bei“, sagt Walter Hödl, Vizepräsident des Naturschutzbundes Österreich.
„Wir fordern die Bundesländer auf, sich in dieser Sache zu positionieren und sich auch gegenüber der EU-Kommission klar und mit Engagement für ein Weiterbestehen des Natura 2000-Regelsystems einzusetzen. Es braucht Mittel und Ernsthaftigkeit für die Umsetzung von Natura 2000 anstelle der Aufweichung eines funktionierenden und sinnvollen Regelwerkes“, so die NGOs abschließend.
Rückfragehinweis:
Franko Petri, Leitung Medien und Kampagnen WWF, Tel. 01-48817-231, E-Mail: franko.petri@wwf.at
Umweltdachverband – Sylvia Steinbauer, Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 01/40 113-21,
E-Mail: sylvia.steinbauer@umweltdachverband.at
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